«Das ist ein monumentaler Fehler»

Professor Klaus Zweibrücken hat für unseren Verein auch das Positionspapier zum Autobahnanschluss Witen verfasst (Download hier). In einem Interview mit dem Blick gibt er seine Meinung zum Ausbau des Nationalstrassenetztes auf zweimal drei Spuren kund.

Die Bundesratspläne zu sechsspurigen Autobahnen sorgen für Zoff: Jetzt warnt der renommierte Professor für Verkehrsplanung Klaus Zweibrücken (61) von der Hochschule für Technik in Rapperswil SG vor «einem monumentalen Fehler».

BLICK: Der Bundesrat plant das Nationalstrassennetz «innerhalb und zwischen den metropolitanen und den grossstädtischen Gebieten konsequent auf mindestens zweimal drei Spuren auszubauen». Wird die Schweiz so vom Stau befreit?
Klaus Zweibrücken:
 Ich erlaube mir, die Schweiz vor diesem monumentalen Fehler zu warnen. Der Ausbau der Autobahn auf sechs Spuren ist ein mehr wie merkwürdiger Ansatz. Damit wird noch mehr individueller Personenverkehr generiert, also das Gegenteil dessen, was ökologisch und sozialverträglich ist. In der Agglomeration Zürich zeigt sich diese Dynamik gut: Der Ausbau des Bareggtunnels zog den Ausbau des Gubristtunnels als notwendige Konsequenz nach sich. Diese Kettenreaktion droht dem ganzen Land, wenn die Autobahnen sechsspurig werden.

Aber viele Autofahrer leiden unter dem Stau und wünschen sich breitere Autobahnen.
Es ist unökonomisch, ein ganzes Strassennetz auf die maximal auftretende Belastung auszubauen. So hätten wir einfach bei Stosszeiten mehr Spuren zum Befahren – 20 Stunden am Tag aber wären sie leer. Die Kosten-Nutzen-Rechnung geht einfach nicht auf. Die Engpässe bestehen nicht wegen ungenügender Anzahl Fahrspuren auf den Autobahnen, sondern weil der Autoverkehr im Netz zeitweise nicht mehr aufgenommen werden kann. Die Problematik liegt nicht auf der Strecke, sondern in den Agglomerationen.

Künftig könnten die Autos selbst fahren, künstliche Intelligenz den Verkehr regeln. Was heisst das für die Raumplanung?
Dass es erst recht keinen Sinn macht, Autobahnen weiter auszubauen. Das ist wie beim Ameisenhaufen: Weil die einzelnen Ameisen so gut organisiert sind und miteinander kommunizieren, gibt es keinen Stau. Das Nutzbarmachen künstlicher Intelligenz kann den Infrastrukturausbau überflüssig machen. Von den selbstfahrenden Autos verspricht man sich ja unter anderem einen geringeren Flächenverbrauch.

Sind Carpooling, Pannenstreifennutzung oder Tempo 80 bis 100 die Lösungen, um den Stau loszuwerden?
Es sind wirkungsvolle Massnahmen. Am schnellsten am Ziel wären wir alle bei Tempo 80: Das ist die optimale Geschwindigkeit, wenn man Sicherheitsabstand und Leistungsfähigkeit ins Verhältnis nimmt. Zudem haben Autos im Berufsverkehr einen Besetzungsgrad von 1,1: Gerade mal in jedem zehnten Auto sitzen zwei Personen. Die niedrigen Besetzungsgrade in den Autos führen zu einer Riesenverschwendung von Fläche und Energie. Wenn man flexibel sein will, sollte man tunlichst versuchen, mit dem vorhandenen Platz auszukommen und sicher nicht die Autobahn auf Vorrat auszubauen. Die Pannenstreifen bestehen schon – also sollten wir sie zu Stosszeiten befahren dürfen.

In Italien sind die meisten Autobahnen sechsspurig. Dort sehe man, dass diese zusätzliche Spuren nur vom Schwerverkehr genutzt werden. Der PKW-Fahrer hat nichts davon. Das behauptet die Alpeninitiative. Stimmt das?
Ich kenne das Problem aus Deutschland: Dort überholen sich häufig die Lastwagen auf den rechten beiden Spuren – die PKWs werden auf die verbleibenden Spuren abgedrängt. Der Ausbau der Autobahnen ist auch eine Torpedierung der Ziele zur Verlagerung des Schwerverkehrs auf die Schiene.

Welche Verkehrsplanung im Ausland ist vorbildlich?
In den USA gibt es im Raum Seattle/Puget Sound in einem Gebiet mit rund sechs Millionen Einwohnern eine Flächenmaut. Das bedeutet schlicht: Wer sich ins Auto setzt und losfährt, der zahlt. Diese Strassennutzungsgebühr ist radikal, würde in der Schweiz aber viele Probleme lösen: Geht es über das individuelle Portemonnaie, überlegt man sich doppelt, ob eine Fahrt wirklich sinnvoll ist und ob man nicht noch jemanden mitnehmen sollte.

Wie fahren denn Sie persönlich zur Arbeit?
Ich habe aus Vernunft kein eigenes Auto, nehme den ÖV und das Velo. In der Stadt ist das am sinnvollsten. Und wenn ich ein Auto brauche, habe ich ein Carsharing-Abo. Aber ich gebe zu: Würde ich auf dem Land wohnen, ginge das nicht so einfach.

Dieses Interview ist im Blick am 08.01.2019 erschienen. Link: hier

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