Der neue Autobahnanschluss in der Region Rorschach hängt nun vom Entscheid der Bevölkerung ab

Bund, Kanton und die drei Gemeinden am See legen das Vorprojekt für einen neuen A1-Zubringer Rorschach vor. Am 17. November entscheiden die Stimmberechtigten in Goldach und Rorschach über das Vorhaben.

Nach jahrelanger Planung gilt es ernst für den dritten Autobahnanschluss in der Region Rorschach. Auf den Tag genau zwei Monate vor der wegweisenden Abstimmung in Rorschach und Goldach informieren die Behörden von Bund, Kanton und der drei Gemeinden am See über ihr Vorhaben, Entwicklungsprojekt «Autobahnanschluss Plus» genannt, weil es um mehr geht als um den A1-Zubringer mit Verbindung bis ins Stadtzentrum. Nämlich um umfangreiche Begleitmassnahmen, die im auto- und barrierengeplagten Siedlungsraum den Verkehr aller Gattungen verbessern sollen. «Eine Riesenchance mit Mehrwert für alle», wie die Behörden geschlossen betonen. Sie lassen keinen Zweifel daran, dass der Autobahnanschluss die einzige Lösung gegen die täglichen Staus im Nadelöhr westlich Goldachs zwischen Bruggmühle, Waldegg-Kreisel und Autobahnanschluss Meggenhus sei.

Über 500 Leute drängen sich im Würth-Saal, dem Applaus für die behördlichen Voten und den Buhrufen gegen Autokritiker wie VCS-Präsident Ruedi Blumer nach zu schliessen sind Dreiviertel für den Anschluss. Ein repräsentatives Stimmungsbild dürfte dies nicht sein, halten sich in der Fragerunde doch Befürworter und Gegner die Waage. Beim üppigen Apéro stellt sich heraus, dass manche nicht in den beiden Gemeinden wohnen, die über das «Jahrhundertprojekt» abstimmen. Erstaunlich die Rekordzahl parkierter Velos vor dem Glasbau, aber auch dies noch keine Aussage über Kräfteverhältnisse – immerhin zeigte sich jüngst auch der Chef der befürwortenden IG Mobil, FDP-Kantonalpräsident Raphael Frei in einem SRF-Fernsehbeitrag zum Thema demonstrativ auf dem Velo.

Bund und Kanton finanzieren Grossteil der 315 Millionen Gesamtkosten

«Das Generationenprojekt ist zum Greifen nah», freut sich der abtretende Stadtpräsident Thomas Müller, «zum letzten Mal vor einem grossen regionalen Publikum», am Podium der Behörden. Nachdem Generationen die Tieferlegung der SBB verpassten, müsse die Chance mit dem Autobahnanschluss gepackt werden – zumal sie ein einmaliges Angebot zur Lösung der Verkehrsprobleme und zur Gestaltung neuer Quartiere sei. Als Nationalrat und Präsident einer Subkommission der Finanzkommission weiss Müller, dass der Zeitpunkt der Finanzierung auf Bundesebene stimme.

Unter den 270 Projekten zu Kosten von 15 Milliarden allein im Nationalstrassenfonds buhlten viele Regionen um Anschlüsse und Ausbauten, sagt er an die Adresse der Gegner: «Wenn wir jetzt ablehnen, können wir 2025 nicht einfach wieder aufspringen.» Abzustimmen haben die gut 10000 Stimmberechtigten von Goldach und Rorschach indes nicht direkt über den Autobahnanschluss, sondern über die neue Kantonsstrasse zum See. Für die liegt nun ein Vorprojekt vor, das dank abgesenkter Strassenführung und zwei Tunnels «machbar» und «siedlungsverträglich» sei. Es schaffe laut Kantonsingenieur Marcel John mit dem Knoten Sulz einen «Hauptverteiler für die ganze Region» und eröffne auf Stadtgebiet «ein gewaltiges Potenzial für hochwertige Nutzungen».

Für das konkrete Bauprojekt, das der Bewilligung des Kantonsrats unterliegt, brauche es nun die Zustimmung der Gemeinden, sagt Bauchef Marc Mächler und bekräftigt den Willen des Kantons, bei der «Riesenchance» zur Entwicklung eines kantonal wichtigen Wirtschaftsstandorts mitzumachen. Um das Gesamtverkehrsprojekt zu realisieren, stehen zweckgebundene Mittel aus Strassenverkehrs- und Benzinsteuern, Autobahnvignette und Abgabe LKW-Verkehr zu Verfügung. «Wenn das Projekt scheitert, fliesst das Geld in andere Projekte in anderen Regionen.» Die Priorität in Bern belegt Jean-Luf Poffet, stellvertretender Abteilungschef Strassennetze im Bundesamt für Strassen (Astra): Der neue A1-Anschluss erfülle alle Kriterien des bei solchen Projekten «sehr restriktiven» Bundes und habe für die Agglomeration weit mehr positive Wirkungen als negative.

Die Kosten sind von geschätzten 190 Millionen auf 315 Millionen Franken angestiegen; wovon 108 Millionen für den Anschluss, vollumfänglich von Bund und Kanton finanziert, und 166 Millionen für die Kantonsstrasse. An die sollen Rorschach und Goldach 7 Millionen leisten; Rorschacherberg hat mit Entscheid an der Bürgerversammlung bis zu 2 Millionen zugesichert. Die Verteuerung begründet Mächler vor allem mit dem präziser geschätzten Landerwerb im städtischen Gebiet und den Bohrpfahlwänden, die für den Tunnel an der Industriestrasse nötig sind.

Gegner befürchten Mehrverkehr und hoffen auf die Wirkung von Bahnunterführungen

Die Gemeindepräsidenten Beat Hirs (Rorschacherberg) und Dominik Gemperli (Goldach) erklären, dass die beiden Bahnunterführungen (Mühlegut in Bau, Bäumlistorkel geplant) und das ausgebaute ÖV-Angebot hälfen, aber das Problem nicht lösten; das zusätzliche Verkehrsaufkommen könne mit zusätzlichen Unterführungen nicht aufgefangen werden. Ein strittiger Punkt, wie die lebhafte Publikumsdiskussion offenbart. «Wir haben die Unterführungen verschlafen und konnten nie über Varianten reden, sondern rasten immer nur auf die Autobahn zu», wirft Lukas Reichle als Präsident des gegnerischen Komitees ein. Die Auswirkung von Unterführungen sei nie ernsthaft geprüft worden, kritisiert auch der frühere SP-Kantonsrat Felix Gemperle und bezweifelt, dass die Nord-Süd-Schneise ins Zentrum zu weniger Verkehr führe – «im Gegenteil, die Quartiere werden mehr belastet».

Entgegen der «Behördenpropaganda» sind die Gegner zuversichtlich, dass der Widerstand gegen die «Heimatzerstörung» und «Mehrverteilung des Verkehrs zu einem horrenden Preis» wächst. Dies zeige der Zuspruch auch von Gewerblern und Politikern, die kein öffentliches Statement wagten. Zwei Monate bleiben Zeit für eine Debatte über eine Schicksalsfrage, die weit über ein Strassenbauprojekt hinaus weist – ob man mit oder ohne Auto in Zukunft «abgehängt» wird, ist letztlich eine Glaubensfrage. Und leider ist Beamen wie in «Raumschiff Enterprise» noch immer nicht möglich, wie ein Goldacher Votant launig anmerkte: «Bis dahin brauchen wir die Autobahn als Umfahrungsstrasse.» Die Mobilität ist vielfältig im Wandel, der frühestens mögliche Baubeginn 2028 noch weit.

 

Dieser Artikel ist am 19.09.2019 im Tagblatt erschienen. Er kann online hier nachgelesen werden.

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